Der Fall Kachelmann
„25 Euro für jeden Tag im Gefängnis“
Wettermoderator Jörg Kachelmann ist wieder auf freiem Fuß. Strafrechtler Gregor Rose erklärt im Interview, warum ein Freispruch wahrscheinlich ist und welche Entschädigung Kachelmann dann bekommt.
FOCUS Online: Nach 132 Tagen in Untersuchungshaft durfte der Wettermoderator Jörg Kachelmann heute das Gefängnis verlassen. Wie trifft das Gericht so eine Entscheidung?
Gregor Rose: Für die Untersuchungshaft muss auf der einen Seite der dringende Tatverdacht bestehen und andererseits ein Haftgrund vorliegen. Im Fall Kachelmann war dies der Haftgrund der Fluchtgefahr. Nun hat das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden, dass kein dringender Tatverdacht mehr besteht. Die Entscheidung ist bei Sexualstraftaten immer schwierig, weil es, wie hier, meist nur das Opfer und den Täter gibt. Aussage steht gegen Aussage, Zeugen gibt es nicht, und das Beweismaterial ist dürftig.
FOCUS Online: Trotzdem ist die Entscheidung eine Überraschung, nachdem Kachelmann über ein Vierteljahr hinter Gittern verbringen musste – so lange war der Verdacht ja angeblich dringend.
Rose: Ja, man fragt sich schon, warum die Staatsanwaltschaft nicht vor der Festnahme sorgfältiger ermittelt hat. Die Aufhebung des Untersuchungshaftbefehls beruht ja unter anderem darauf, dass die Angaben der ehemaligen Lebensgefährtin, die Kachelmann vorwirft, sie vergewaltigt zu haben, unzutreffend waren. Es stehe Aussage gegen Aussage, und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Ex-Freundin sich die Verletzungen selbst beigebracht habe. Das ist eindeutig ein Rüffel für die Staatsanwaltschaft und das Landgericht Mannheim, das die Haftbeschwerde abgewiesen hatte.
FOCUS Online: Hat Kachelmann jetzt Anspruch auf Entschädigung?
Rose: Dafür ist es noch zu früh. Der Anspruch entsteht erst, wenn er im Prozess tatsächlich freigesprochen wird oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Dann bekommt er für jeden Tag Untersuchungshaft 25 Euro Haftentschädigung. Bei 132 Tagen wären das also 3300 Euro. Das macht den tatsächlichen Schaden natürlich nicht wieder gut.
FOCUS Online: Ist das alles?
Rose: Er kann darüber hinaus den sogenannten Vermögensschaden geltend machen, der ihm durch die Haft entstanden ist, also beispielsweise seinen Verdienstausfall. Ich weiß nicht, in welcher Größenordnung sich das bei ihm als Selbstständigem bewegt. Zudem ist ungewiss, ob die ARD ihn wieder als Anchorman das Wetter moderieren lassen wird. In diesen Fällen entsteht oft ein Schaden, der nicht wieder gutzumachen ist. Ein unvorsichtiges Vorgehen der Staatsanwaltschaft kann Existenzen bedrohen.
FOCUS Online: Was kann Kachelmann gegen seine Ex-Freundin unternehmen?
Rose: Zum einen kann er strafrechtlich gegen sie vorgehen, sie also zum Beispiel anzeigen wegen falscher Verdächtigung. Dieses Vorgehen hätte allerdings, solange das Verfahren gegen ihn noch läuft, keine Erfolgsaussichten. Nach Abschluss des Verfahrens wird es auch schwierig, weil es bei Sexualdelikten häufig zu einem in-dubio-pro-reo-Freispruch kommt, also einem Freispruch nicht wegen erwiesener Unschuld, sondern aus Mangel an Beweisen. Zivilrechtlich könnte er sie auf Schadenersatz wegen des entgangenen Gewinns verklagen. Das ist jedoch aus den genannten Gründen schwierig.
FOCUS Online: Das alles beruht ohnehin auf der Prämisse, dass Kachelmann freigesprochen wird. Ist diese Annahme nicht voreilig?
Rose: Klar muss man abwarten, wie das Gericht urteilt. Aber die Entscheidung des Oberlandesgerichts hat schon eine gewisse präjudizielle Wirkung. Es scheint kaum noch möglich, dass am Ende ein anderes Urteil als ein Freispruch steht.
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